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Musik sprengt die Grenzen der Epochen, der Bühne und der Publikumserwartung
Die Westfälischen Saxophoniker überraschen mit ihrem Bach-Programm in Nieder-Moos

Intendant Alexander Eifler hatte einigen Mut bewiesen. Allein schon, ein Nieder-Mooser Konzert auf ein Fußballwochenende zu platzieren stellte ein Wagnis dar, die allerdings unvorhersehbare Hitze sorgte dann auch mit dafür, dass der Besuch wohl etwas hinter den Erwartungen zurückblieb, insgesamt aber noch gut zu nennen war.
Ein weiteres Wagnis war das Programm. Sicher: die Westfälischen Saxophoniker waren schon einmal in Nieder-Moos zu Gast gewesen und hatten sich dabei nachdrücklich empfohlen. Ihr aktuelles Programm "Seraphim-Sax – Bach in concert II", der zweite Teil ihrer Beschäftigung mit Werken von Johann Sebastian Bach, speziell den Oster- und Himmelfahrtsoratorien, stand qualitativ den früheren Programmen sicherlich nicht nach, stellte jedoch höhere Ansprüche an das Publikum.



Die neun Saxophonisten und der Percussionist (Kesselpauken und Snare) wählten für ihr Programm einen wirkungsvollen Einstieg. In die Geräusche, die ein wartenden Publikum macht, hinein schlichen sich die ersten Töne, von den Eingängen aus geblasen. Es folgte ein langsamer Einzug, zuerst spielend durch die Kirche wandernd und das Gebäude mit Schall erfüllend, bis zur Sammlung auf der Bühne. Die getragenen Töne versammelten sich, um unvermittelt und nahtlos in das erste Barockstück, eine glanzvolle Passage aus dem Osteroratorium, über zu gehen.
Die Idee, Werke von Bach umzuarrangieren und zu "verjazzen" ist freilich nicht neu, seitdem bereits Ende der 1950-er Jahre der französische Pianist Jacques Loussier mit seinem "Play Bach"-Trio diesbezüglich für Furore gesorgt hatte gab es immer wieder zahlreiche Experimante in dieser Richtung – und das nicht ohne Grund, da sich diese Verbindung häufig als sehr glücklich und fruchtbar erwies. Was nun die westfälischen Saxophoniker mit diesem "Crossover" machten entfaltete dennoch eine höchst eigenständige Dimension.
Das bereits erwähnte Anfangsstück aus dem Osteroratorium kam kompakt und markant daher, vom Arrangement her unverfälscht, und es zeigte sich, dass der Einsatz des Saxophons, das es zu Bachs Zeiten freilich noch nicht gab, klanglich absolut unproblematisch war, wenn auch die Transparenz und der pointierte, leichte Klang eines Barockorchesters so freilich nicht ganz zu erreichen ist. Dennoch: Puristen, welche die Nase rümpfen, wenn mit dem Saxophon alte Musik gespielt wird, werden in Zukunft ihre Nase ohne die Zuhörer der Westfalen rümpfen müssen, denn die sind belehrt, wie wunderbar so etwas klingen kann. Dass speziell in der Anfangsphase auch Kleinigkeiten schief gingen im Spiel des Ensembles tut dem keinen Abbruch und war wahrscheinlich der Hitze geschuldet, das blieb aber für den Gesamteindruck folgenlos.
Der weitere Programmverlauf, den die Musiker konzipiert hatten, erwies sich dann als ebenso wirkungsvoll und musikalisch tiefgründig wie fordernd für das Publikum, mit dessen Erwartungshaltung immer wieder gespielt wurde. Nie konnte man sicher sein, was als nächstes geschieht.
Denn das Verteilen im Raum, meditative, getragene Töne, das Abschweifen in Gebiete des Jazz, sogar des Tangos und des Blues, das sich Vereinzeln und wieder Zusammenfinden zog sich durch den ganzen Abend.
Die bach'schen Melodieführungen und die barocke Rhythmik blieb dabei eigentümlicher Weise die ganze Zeit präsent, selbst wenn die Musiker scheinbar etwas ganz anderes spielten. Es lief dann auch immer wieder auf die Interpretation des Originalen hinaus, vielfach auch mit Solo-Passagen, die fast alle Saxophonisten einmal innehatten, und bei denen die Zuhörer staunend merkten, dass ein brillant geblasenes Sopransaxophon durchaus die Oboe ersetzen, die gleiche Leichtigkeit in den Trillern und den gleichen klanglichen Schmelz entwickeln kann. Vier weitere Saxophonen mimten dazu das basso continuo.
Die Musik der Westfälischen Saxophoniker sprengte also die Fesseln sowohl der Bühne als auch des Genres sowie die der Publikumserwartung, und das ohne jemals abgehoben zu sein. Das Konzert atmete stets den Geist bach'scher Musik, obwohl manches wohl erst im Moment der Aufführung entstand.
Vielleicht die größte Überraschung war, dass das Publikum das Fordernde des Programms nicht als Zumutung empfand, sondern sich darauf einließ. Die Westfälischen Saxophoniker wurden regelrecht gefeiert und mussten neben der üblichen Zugabe noch eine zweite geben, was sie selbst überraschte. Auf diese Weise kam das Publikum noch zu dem seltenen Erlebnis eines Kesselpaukensolos durch den hervorragenden Percussionisten.