Ob Engel existieren ist nicht die entscheidende Frage
Lesung mit Lautenmusik begleitend zur Engel-Ausstellung im Hohhaus
Begleitend zur aktuellen Kunstausstellung mit dem Titel „Engeleien - Bilder und Objekte von Annika Leese und Wulpekula Schneider“ im Lauterbacher Hohhaus fand die Veranstaltung „Lesung und Laute“ im Rokokosaal statt. Museumsleiter Dr. Georg Striehl hatte zahlreiche Texte ausgewählt und zusammengestellt, die von Christine Stork-Eisler und von Ernst A. Bloemers vorgetragen wurden. Dazu spielte Oswald Hebermehl passende Stücke auf der Laute.
Oswald Hebermehl, der in Lauterbach schon mehrfach in Karin Sachers Kirchenmusik aufgetreten ist, studierte Gitarre und Laute an den Musikhochschulen Frankfurt (Lehrdiplome) und Karlsruhe (Konzertexamen). Seitdem gibt er international Konzerte und hat auch Meditationspraxis bei verschiedenen Lehrern. Er eröffnete seinen Part mit dem gesungenen gregorianischen Weihnachtshymnus „Christum wir sollen loben“, um in Folge vorwiegend Werke aus der Renaissance zu interpretieren. Das Ideal des Lauternspielers in der Renaissance, so Hebermehl, sei nicht das möglichst virtuose Spiel gewesen, sondern das erfolgreiche Hinführen der Zuhörer in eine Stille, in welcher die unhörbare göttliche Sphärenmusik zu erahnen sei. Folglich war es dem bekannten Lautenmeister nicht um Schnelligkeit oder Effekte zu tun, sondern um reines, zartes Spiel mit Konzentration auf die Phrasierung und die sich dadurch ergebenden Klangpausen. Er kam dem historischen Ideal damit sehr nahe und füllte die anderen Pausen, nämlich die zwischen den Lesungsblöcken, höchst intensiv und eindringlich aus, so dass die Gedanken Raum hatten, um das Gesprochene zu verarbeiten.
Christine Stork-Eisler und Ernst A. Bloemers, beides geübte Sprecher, von denen man bereits manche Reziation hören konnte, lasen im Wechsel die kompetent ausgewählten Texte, welche chronologisch den weiten Bogen vom Vormittelalter bis in die Gegenwart spannten. Keine leichte Aufgabe, solch höchst unterschiedliche Texte (die zudem zum Teil wissenschaftlichen, zum Teil poetischen Schriften entstammten) mit dem jeweils passenden Duktus zu versehen, doch beide Reziatatoren meisterten dies mit viel Einfühlung und präzisem Ausdruck.
Die heute beim Thema „Engel“ fast schon mechanisch immer wieder gestellte Frage, ob es die denn wirklich gäbe bzw. ob man an ihre Existenz glaube, erwies sich dabei für diese Betrachtung als irrelevant. Für die Autoren der frühen Texte, z.B. Gregor der Große oder Thomas von Aquin, kam diese Fragestellung gar nicht in Betracht, vielmehr versuchten sie mit wissenschaftlichen Denkmodellen ihr Wesen zu fassen und zu beschreiben. Die Entwicklung in der Engelsauffassung wurde bei den Texten durch die Jahrhunderte sehr deutlich. Von der Geschichte über Mariä Verkündigung im neuen Testament bis zu Auszügen aus dem Mathnawi des Galal-ad-din-Rumi, in welchem der Engel als eine hohe (wenn auch nicht die höchste) Stufe im Kreislauf der Reinkarnationen angesehen wird, stellen Engel stets Wesen dar, die rein geistiger Natur und unsterblich sind – Eigenschaften, die zwar nicht dem Menschen, wohl aber seine Seele zugesprochen werden, wodurch eine gewisse Verwandtschaft besteht. In späteren Zeiten eignen sie sich daher auch gut zur Symbolisierung des Vanitas-Motives, dann als gleichsam Mantra zur mystischen Versenkung. In den modernen Texten, z.B. von Friederike Mayröcker oder Hans Magnus Enzensberger symbolisieren Engel auch stets eine geistige Gegenwelt, wobei dann auch der Humor in der Betrachtungsweise seinen Raum fand. Jedenfalls auch hier niemals die Frage, ob Engel existieren, denn sie sind nun einmal ein kultureller Topos, eine Grundidee der Menschheit, die zumindest als solche nicht in Frage steht.
Die Zuhörer, die in der Pause zudem Gelegenheit hatten, sich die sehr originelle und schöne Engel-Ausstellung im Hohhaus zu betrachten (die noch bis 11. Januar geöffnet ist) erlebten einen ganz besonderen Abend, der sowohl den Verstand als auch das Gefühl berührte. Kräftiger Applaus wurde mit einer Zugabe entlohnt.