Leidenschaftliche Kompositionen auf den Punkt gebracht
Gastkonzert von hr2-kultur im Lauterbacher Hohhaus vor übervollen Rängen
Es hätte ein gewöhnliches Kammerkonzerzt werden können. Die Besetzung Violine und Klavier ist nichts Außergewöhnliches, und Kompositionen von Ludwig van Beethoven (1770-1827), Francis Poulenc (1899 – 1963) und César Franck (1822-1890) hat man auch schon mehrfach vorgetragen bekommen, wenn auch diese Komponisten ohnehin nie langweilig sind. Darüberhinaus aber geriet der Auftritt der Violinistin Byol Kang und des Pianisten Boris Kusnezow im Lauterbacher Hohhaus zu einer Art künstlerischen Demonstration – und damit für das Publikum, wie bei einer politischen Demonstration, einerseits zu einer Zumutung, andererseits zu einer Bereicherung, und wenn man wollte, konnte man sich regelrecht mitgerissen fühlen.
Byol Kang, die in Rostock und Düsseldorf studierte, und Boris Kusnezow aus Moskau waren in 2009 Preisträger des Deutschen Musikwettbewerbs in Berlin. In Lauterbach hatte man somit das Privileg, im Rahmen der Hohhauskonzerte alle Preisträger dieses Wettbewerbs live erleben zu dürfen, was unterstreicht, dass kulturelle Provinzialität keine Frage von Einwohnerzahlen ist, sondern vermieden werden kann, wennn man sich entsprechend bemüht. Diese Bemühung erbringt der Kreis Lauterbacher Musikfreunde mit den Hohhaus-Konzerten, dieses Mal in Kooperation mit der Redaktion für Kammermusik von hr2-Kultur beim Hessischen Rundfunk, der das Konzert aufzeichnete und es am Do., den 11. Februar um 20.05 Uhr auf hr2 senden wird. Auch das ist eine Demonstration für die Kultur, die oft zuerst von Sparmassnahmen betroffen ist.
Doch zurück zur künstlerischen Demonstration von Byol Kang und Boris Kusnezow. Die G-Dur-Sonate op. 30 Nr. 3 von Beethoven ist ein relativ frühes Werk, der Kompositionsstil ist nicht völlig ausgereift, und vielleicht passte dieses Stück gerade darum so gut zu den jungen Musikern, die ihre Interpretation prägnant und feurig anlegten. Ihr Spiel atmete den Hauch von Rebellion, der Beethoven ja keineswegs fremd war, und machte Erstaunen über die technischen Fähigkeiten dieser Musiker, die als Studenten ja quasi noch nicht ausgelernt haben. Es ist oft eine Schwierigkeit, die künstlerische Spannkraft über viele Jahre aufrecht zuerhalten. Doch wer im zweiten Satz im Tempo des Menuettes erlebte, wie die beiden zart und gefühlvoll agierten und beobachtete, wie selbstverständlich komplizierteste Griffe und vertrackte Passagen von der Hand gingen, wobei es besonders Kang gelang, spezielle, ganz persönliche Akzente zu setzen, der begriff schnell, dass es hier um die Bewältigung technischer Klippen schon längst nicht mehr ging, und dass hier der Geist der Kompositionen wehte, vermittelt vom Geist junger, energischer Interpreten.
Die Sonate op. 119 von Francis Poulenc ist noch einmal ein anderes Kaliber. Da galt es, Gegensätze auszuleben und zu vereinen: zwischen Harmonie und Disharmonie, Intervall und Kontinuum, Spannnung und Entspannung. Kang und Kusnezow zeigten dabei äußerste Präsenz, die ihren Reiz gerade daraus zog, dass sie sich eben nicht auf alle Nuancen einließen, sondern stets die progressive Deutung suchten.
Danach folgte die Sonate in A-Dur von César Franck, und damit kommen wir spätestens, wer nicht die impulsiven Klänge bei Poulenc schon so empfand, zur Zumutung. Franck schlägt dem Zuhörer ein nicht tot zu kriegendes Thema um die Ohren. Wenn man ihm entronnen glaubt, bricht es wieder durch. Und er setzt es in Zusammenhänge, die man kaum für möglich gehalten hätte. Ein sehr komplexes Stück mit hohem Schwierigkeitsgrad, das in all seiner Ambivalenz kompromisslos von Kang und Kusnezow vollzogen wurde. Also nichts zum Zurücklehnen und Träumen! Und es spricht sehr für das Lauterbacher Publikum, dass es sich einläßt und die besondere musikalische Ästhetik zu genießen versteht - in der virtuosen Darbietung von zwei brillanten Interpreten, die ohne jede Unsicherheit und auch ohne Übertreibung den Kern der musikalischen Botschaft trafen.
Wer etwas Substanzielles erleben will der geht also in Hohhaus-Konzerte, und wer viel klatscht erhält er auch noch eine zauberhafte Liebes-Komposition von Edward Elgar "Salut d'amour" op. 12 zur Zugabe.