»ich denk an einen weißen raum...«

Über den Gedichtband »die verlegung des zimmers« von Andreas Altmann

von Martin Krauss

Der dritte Gedichtband des 1963 in Hainichen/Sachsen geborenen Andreas Altmann umfasst fünf Kapitel oder Zyklen sowie ein vor- und ein nachgeschaltetes Gedicht; ein umfangreiches Buch mit mehr als 70 fast ausnahmslos einseitigen Texten. Viele Lyrik-Leser bevorzugen die schmalen ca. 30-Texte-Ausgaben, doch keine Scheu vor »die verlegung des zimmers«: die Lektüre gestaltet sich spannend wie bei einem Roman, der 1997 mit dem Christine-Lavant-Preis und dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis ausgezeichnete Altmann wiederholt sich keineswegs und hält konstant sein hohes Niveau.

Themen und Inhalte der Gedichte sind häufig »Geschichten« (z.B. »eine geschichte der krähe«, »eine geschichte aus dem tal«, schließlich erweist sich der gesamte, letzte Zyklus »aus bomsdorf« als eine Sammlung von quasi Dorfgeschichten), doch muss der Begriff »Geschichte« hier genau beschrieben werden. Altmanns Geschichten haben kaum Handlung, keinen Dialog, keinen »Plot«, sondern sie bestehen aus sich entwickelnder Beobachtung, aus dem assoziativen und emotionalen Wechselspiel zwischen sich und der Umgebung, aus Erinnerung, aus der subjektiven Anrührung durch Anblicke und Begegnungen. Der im Gedicht »hinter glas« beschriebene Fensterblick trifft wohl das Wesentliche von Altmanns Poetologie: das Heranholen von Eindrücken, die Empfindungen von Zeit, Nähe und Entfernung. »ich denk an einen weißen raum, / in den ich fotos stell. / bin im gebirge, wenn die vögel schlüpfen. / dort liegt noch schnee, / als hätte es die zeit hier nicht gegeben. / knospen. nest. die fotos und die fenster. / die worte werden bleiben.«

Altmanns Texte sind dabei niemals starr, weil sie nicht im Beobachteten oder Gedachten verharren; stattdessen ist der Dichter im Erlebten involviert. Hinter »weichen wänden« (Altmann) öffnen sich Welten der Phantasie und Nachdenklichkeit.

Diese Inhalte vermittelt der Autor, der mit größter Selbstverständlichkeit und daher glaubhaft das ich, das du und die eigenwillig personifizierte Umwelt als Cast seiner Lyrik engagiert, durch wunderbar treffende Benennungen: Begriffsverschmelzungen in unverbrauchter Sprache (»der tod hat vier ränder, pflanzt in die erde« — gräber umgehen). Seine fast skrupellose und daher oft überraschende Bereitschaft UND Fähigkeit zur Neukombination bringt scheinbar verkehrte, sich dann aber als überaus treffend erweisende Formulierungen hervor (»...sah kaum aus dem fenster / nur im winter dem schnee nach, / wenn er im wasser verbrannte.« — engelsgeschichte). Aktiv-Passiv-Rollen, Ursache-Wirkung-Verkettungen werden vielfach in Frage und umgestellt (»dann sang sich das Lied einen gärtner« — dorf lied). Im Ausdruck ergibt sich so eine erstaunliche Fülle und ein großer Bilderreichtum bei eindringlicher Schlichtheit ohne Pathos oder gesuchte Effekte.

Unterstützt wird diese Technik durch flexibel, präzise und bewußt eingesetzte Syntax (bei konsequenter Kleinschreibung) und kompetente Zeilengestaltung, welche die Texte bedeutsam und musikalisch phrasiert.

Die Wirkungen bestehen in dichter, eng verknüpfter, lyrischer Sprache, einem Netz, in dem der Leser gefangen wird. Der Tonfall der Gedichte ist von Intensität und Tiefe geprägt, ernst, ohne Spielereien, jedoch keinesfalls verbissen, da die kunstvolle Gestaltung einen Abstand schafft, der Erleichterung mit sich bringt. Rasch entwickelt sich beim Lesen ein Gefühl von menschlicher Wärme und Vertrautheit. Manche Zeilen freilich gehen, so der Leser dies zulässt, sehr nahe ans Eigentliche der Existenz: »von birken verstellt / verholzten die blicke, wurden zum denkmal« (stand lange auf ).

»die verlegung des zimmers« ist somit ein fesselnder, einnehmender Gedichtband, Andreas Altmann zeigt sich als markante und hervorleuchtende Stimme der aktuellen Lyrik.

 

Andreas Altmann: »die verlegung des zimmers« (Gedichte), Kowalke Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-932191-20-X, 96 Seiten Broschur, 16,- DM.