Der Versuch der Befreiung kostet das Leben
Über Anton Betzner: "Basalt" (Roman)
von Martin Krauss
Ausgerechnet in dem kleinen Dorf Hainrod im Vogelsberg kulminieren in den 1930er-Jahren die Ereignisse. Da leben Bauern, Landadelige mit ihren Angestellten sowie Steinbrucharbeiter, die im Akkord im Nachbarort schuften, aber jederzeit entlassen werden können. Mit den Zukunftsaussichten steht es nicht zum Besten. Der Sohn des Bauern Ringk, ein Rädelsführer unter den Arbeitern, schürft darum im heimischen Ramsberg und findet bestes Basaltmaterial, das für Straßenpflaster und Eisenbahnschotter begehrt ist. Hainrod erhält seinen eigenen, grossen Steinbruch, was Geld und Arbeit bringt, aber auch eine Menge Unruhe.
Nicht nur auf die Natur wirkt sich das neue Großunternehmen aus, sondern auch auf das Verhältnis zwischen den Bauern und Arbeitern, zu den Nachbardörfern, zwischen den Generationen. Aber es ist nicht nur der Steinbruch, der Gärung schafft. Die "Unruhen in den Städten", die unsicheren Zeiten und vieles mehr sorgt für massive Konflikte. Der letzte Krieg steckt den Männern noch tief in den Knochen. Zunächst das Aufkommen des Nationalsozialismus, zuletzt die Vorbereitungen des nächsten Krieges strahlen wie von fern her in das Dorf aus.
Der neue Steinbruch bietet keine oder nur trügerische Sicherheit für den Wohlstand des Dorfes. Als der nun zum Bruchmeister avancierte Ringk mit seiner Freundin, der "jungen Kißler" auswandern will, verunglückt er tödlich im Steinbruch. Seine Geliebte, die von ihm schwanger ist, und die durch ihren pflegebedürftigen Vater an den Ort gebunden ist, versucht, sich zu behaupten, aber die Dorfbevölkerung lässt ihr keine Chance. Derweil kämpft der "alte Ringk" verbissen um seinen Hof, auch mit illegalen Mitteln. Sogar ein Mord geschieht noch, der nie ganz aufgeklärt wird. Am Ende verlässt die "junge Kißler" doch den Ort, und mit ihr viele der Arbeiter- und Bauernsöhne im Rahmen der Mobilmachung zum "zweiten Weltkrieg", wie er später genannt werden wird.
Der aus Köln stammende Essayist, Funkautor und Romanschriftsteller Anton Betzner (1895-1976) lebte einige Zeit im Vogelsberg. "Basalt" gilt als sein bedeutendstes Werk, als weiterer Romantitel sei "Die Michaelsblume" von 1947 angeführt. Den Ort Hainrod hat Betzner gleichsam aus Rülfenrod und Hainbach komponiert, für den Steinbruch am Ramsberg, den Betzner sachkundig beschreibt, dürfte der größte Basaltsteinbruch Europas in Nieder-Ofleiden Pate gestanden haben, welcher heute noch besteht. Auch andere Orte in der Region lassen sich verifizieren.
Betzner erweist sich in der Schilderung des dörflichen Lebens bis in die Küche hinein, der landwirtschaftlichen Gegebenheiten und Techniken wie auch in den Arbeitsumständen in einem Steinbruch als außerordentlich kenntnisreich: ein unglaublich exakter Beobachter, der genau recherchiert hat und mit dem Blick eines geschulten Journalisten Zusammenhänge erkannte. Aber nicht nur die geographischen Daten und die Lebensumstände sind Fakten, die den Regionalbezug des Werkes bestimmen. Auch die Schilderungen der Menschen sprechen Bände. Die genau gezeichneten Charaktere kommen einem Vogelsberger fast alle irgendwie bekannt vor. Die Derbheit, Dickköpfigkeit, ihr Fleiß, ihre Unerschrockenheit, auch ihr darunter gefühlsbetontes Wesen, das alles schildert Betzner einerseits mit einer gewissen Sympathie und Wärme. Andererseits scheut er sich auch nicht, die negativen Fakten gnadenlos aufzuführen: ihre Beschränktheit, ihre Kulturlosigkeit (Zit.: "Ihnen ist Stein Acker und Pflaster, Wald ist ihnen Holz und Vieh Fleisch. Der Rest ist die Welt am Sonntag, an dem sie meist auch nur um ihre Arbeit herumgehen.". Schlimmer ist aber wohl die dumpfe Verbohrtheit, wenn zum Beispiel die Arbeiter für die Probleme im Steinbruch einen Schuldigen suchen und finden, ohne wirklich nachzudenken: "Sie nicken einander vielsagend zu, ehe sie sich vorm Hoftor trennen. Mit Worten wüssten sie nichts vorzubringen.". Die Söhne, oft gerade die, denen die ausweglose Schufterei nicht genug im Leben scheint, laufen "den neuen Narren", den Nazis hinterher. Noch schlimmer sind vielleicht noch die Frauen, welche die jungen Kißler ob ihrer unehelichen Schwangerschaft permanent angiften und sie demütigen. Es gibt jeweils nur wenige, hellere Köpfe, die daraus hervorragen – und die haben es besonders schwer.
Dem Leser werden bei Betzners "Basalt" die ersten 50 Seiten nicht leicht fallen. Der Stil ist kompakt und auf hohem, sprachlichem Niveau, es ist kein rosa Unterhaltungsroman, jede Zeile hat Tiefgang. Ein großes, schwer überschaubares Personal tritt auf, es gibt keine eigentliche Hauptperson mit Identifikationsmöglichkeit. Doch bald zieht der Roman den Leser unweigerlich fest in seinen Bann.
Betzner lässt den Menschen ihre Sprache und trifft exakt den Ton der Bauern, Arbeiter, des Barons und seines Pächters oder des Ingenieurs aus der Stadt. Eindrucksvoll webt er Naturschilderungen ein, die von allegorischer Bedeutung für die Romanhandlung sind. Meisterlich ist seine sachliche und dabei einfühlsame Prosa, wenn er zum Beispiel beschreibt, wie die junge Kißler vom Tod ihres Geliebten erfährt. Betzner kann durchaus auch die Herzen rühren.
Ein hoch modernes Stilelement in dem sonst konventionell erzählten Roman ist die Verwendung der Zeit. Manches Mal wechselt der Autor gezielt von Gegenwart in Vergangenheit, aber auf eine Weise, dass dies fast unbemerkt bleibt. Die Vorgänge stehen gleichsam auf der Kippe zwischen alter und neuer Zeit, der Umbruch durchzieht alle Lebensbereiche.
Der Roman "Basalt" erschien erstmals im Jahr 1942, also mitten im "Dritten Reich", und es ist erstaunlich, dass er nicht sofort verboten und eingestampft wurde (anderen Büchern ist dies widerfahren). Betzners Kritik an den Verhältnissen und seine Warnungen vor dem Krieg wirken heute vielleicht deutlicher, aber im Grunde waren sie sicher bereits 1942 eindeutig. Im Jahr 1948 folgte eine zweite Auflage beim Badischen Verlag, Freiburg, in dem Betzner vor allem das Ende überarbeitete, das nach dem Krieg missverständlich hätte sein können.
Nun war es das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsaß, in welcher Gegend Betzner in späteren Jahren wirkte, das den Roman neu herausgab, und zwar richtig in der Fassung von 1948. Eine verdienstvolles Werk, nicht nur in Bezug auf Literatur- und Regionalgeschichte. Denn Betzners "Basalt" ist ein Buch von teils erschreckender Aktualität: im Hinblick auf die stets noch virulente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ist es erhellend, zu lesen, warum der gutherzige Bauernsohn sich zur NSDAP hingezogen fühlt, und vor allem wie deutlich schon längst vor 1939 die Kriegsvorbereitungen auch von einfachen Menschen erkannt worden sind. Die Beschreibungen der menschlichen Vorgänge um Liebe, Hass, Eifersucht, Existenzängste, Angst vor Neuerungen etc. sind zeitlos und von hoher Gültigkeit. Andere Stellen lassen sich ohne Schwierigkeiten als frühe Globalisierungskritik lesen (wenn der Pächter etwa räsonniert "Weizen aus Kanada, Fleisch aus Argentinien, Wolle aus Australien, Eier vom Balkan, Käse aus Holland. Da sage ich nur [...]: Schnaps aus Hainrod!"). "Basalt" ist daher ein aufrüttelndes, wichtiges und auch jederzeit spannendes, fesselndes und ergreifendes Buch, freilich mit bitterem Ende: Der Bruchmeister stirbt in "seinem" Steinbruch. Die Söhne der Bauern fallen im Krieg. Oder, in einer anderen Episode: ein in eine Falle gegangener Dachs reißt sich fast das Bein aus, um zu entkommen, wird aber dennoch erlegt. Der Versuch der Befreiung kostet meistens das Leben.
Anton Betzner: "Basalt", Roman, hrsg. und mit einem Nachwort von Günter Scholdt, Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2003, ISBN 3-86110-344-3, 394 Seiten, 24 Euro.
Anton Betzner