Von der Wärme des Holzfeuers
über Joana Naß: "Nördlich der Walachei" (Roman)
von Martin Krauss
Es ist eine Reise in die Vergangenheit, der eigenen, der Familie und der eines Landes. Daniela reist mit ihrem Mann per Wohnmobil nach Rumänien, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. Landleben, Kinheitsidylle, die freilich auch ihre dunklen Stellen zeigt, nicht nur bedingt durch die Schattenseiten des sozialistischen Systems. Aber es ist mehr als das: Es wird zum Bild von Politik, Gesellschaft, Familienleben. Es werden Schicksale erzählt, die mehr als sich selbst preisgeben: der Umgang unter den Geschlechtern, die Erziehung von Kindern, Sorgen um das Geld, Kampf um Gerechtigkeit, um Liebe, Lebenskampf.
Doch: auch mit dieser Aufzählung wird man dem Roman von Joana Naß nicht ganz gerecht. In kurzen Passagen, die um sprachliche Prägnanz bemüht und gar nicht blumig oder verklärend sind, in denen die grammatikalischen Zeiten Gegenwart und Vergangenheit gezielt und kompetent ineinander laufen gelassen werden, wird auch ein hohes Maß an atmosphärischer Dichte erreicht. Die Prosa von Naß ist hier unmittelbar emotional erfahrbar und entfaltet erhebliche, anrührende Kraft, auch und gerade da, wo es um sehr Handfestes geht und Naß klare Worte nicht scheut. Als z.B. die betrogene Ehefrau Anna fassungslos erfährt, dass ihr Mann keineswegs der Verführte, sondern der Verführer ist, wird in raschem Perspektivenwechsel auf engstem Raum die ganze Tragik einer Ehe vorgeführt, die vielleicht auch auf Liebe, zuallererst jedoch auf Missverständnissen basiert. Nichts bleibt an der Oberfläche. Dennoch gibt es hierbei keine zitierbaren Kernsätze. Naß zieht in diesem Hauptteil des Buches, mit dem Untertitel "Die Wäre des Holzfeuers", im Gegensatz zum Pro- und Epilog, nicht selbst die Schlussfolgerung oder Wertung, sondern hält sich auf angenehme Weise als Erzählerin damit zurück.
Es steht zu vermuten, dass Joana Naß zumindest bei den Kindheitserinnerungen mit dem besonderen Potential persönlicher Verwicklung schrieb, dass eine Echtheit des Erlebens und Empfindens mit die Feder führte. Erschienen ist das Buch in der Reihe "Bibliothek der Zeitzeugen – Lebenserinnerungen" beim Frankfurter Fouqué-Verlag, was einerseits diese Annahme stützt, andererseits aber auch den Mangel des Buches ausmacht. (Debut-Autoren sollten sich aus mehreren Gründen bei der Verlagssuche beraten lassen.) Hätte das Manuskript eine literarisch ambitionierte und kompetente Lektorierung erlebt, so wäre zumindest der Prolog wohl kaum so stehen gelassen worden.
Die quasi Rahmenerzählung, wie Daniela von Westen nach Osten reist, ist in dieser Ausführlichkeit nicht nur verzichtbar, sie weist auch erhebliche Schwächen auf, die bei Manchem dazu führen könnte, nicht weiter zu lesen, bevor es eigentlich gut wird.
Da wird in Stil und Inhalt ein triviales Reisetagebuch ausgebreitet, in dem sich Naß zu solch zweifelhaften und idealisierenden Bemerkungen hinreißen lässt wie "Jeder Mensch ist ein Roman, und die einfachsten Menschen sind die interessantesten." Als ob hinter jedem einfachen Bauer ein Philosoph und hinter jedem komplex-schwierigen Charakter eine leere Hülle steckte. Altklug kommen Sätze daher wie "Die Welt hier lässt sich nicht nach westlichen Maßstäben beurteilen", dazu gesellen sich dann noch Belehrungen über die Geographie, die arg nach Schulatlaswissen klingen. Unnötige Wortwiederholungen u. dgl. seien da nur am Rande erwähnt. Das Buch schreit nach einem Lektor – das erhebliche Erzähl- und Formuliertalent der Autorin hätte einen besseren Rahmen verdient. Vom Leser fordert der Anfang Nachsicht und Geduld – er wird dafür dann aber auch reichlich belohnt.
Joana Naß: "Nördlich der Walachei" (Roman), Fouqué Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-8267-5191-4, 166 S., 11,40 €.