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Gerhard Otterbein im Lauterbacher Anzeiger am 5.10.2009:

Blaue Flecken auf der Seele

Briefe von Rosa Luxemburg - Lesung zum 90. Todestag im Rokokosaal


Sabine Wackernagel - Bild: Krauss

Die Grand Dame des internationalen Proletariats war in erster Linie eine Frau, die sich nach Liebe, Familie und Geborgenheit sehnte. Das konnte jeder aus ihren privaten Briefen heraushören, die Sabine Wackernagel im Hohhaus-Museum vorlas.
Der Rosa-Luxemburg-Club Vogelsberg und der Lauterbacher Kulturverein hatten die Schauspielerin nach Lauterbach ans Pult geholt. Dietmar Schnell, Sprecher des Clubs, begrüßte den Gast und die Zuhörer.
Anlässlich des 90. Todestags trug die prominente Vorleserin im Rokokosaal ihr Programm "Im tiefsten Schlupfwinkel meiner Seele..." vor.
Der Titel traf genau den Punkt. Die Inhalte der Briefe an geliebte Männer, Freunde und Weggefährten zeigten auch die verletzliche, sanfte Seite der Kämpferin für demokratisches und sozialistisches Denken und Handeln in Europa. Ferner flammten auch ihr Mut, ihre Leidenschaft und allgegenwärtige Kampfbereitschaft auf.
Nicht nur um die Politik drehten sich ihre Gedanken. Oft war sie des politischen Geschehens überdrüssig, denn Rosa Luxemburg, die Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung und Leitfigur der "Spartakusgruppe", war in erster Linie Mensch aus Fleisch und Blut. Die gebürtige Polin (geboren 1870) - eigentlich hörte sie auf den Namen Rozalia (Róza) Luksemburg - besaß ein großes Herz, welches keinesfalls immun gegenüber dem männlichen Geschlecht war. Leo Jogiches (1867 bis 1919), der litauische Revolutionär, und die leidenschaftliche Polin verband die Liebe und die Politik. Ihm schrieb sie von Reisen und aus Berlin - auch im Fall, dass sie nur wenige Meter voneinander getrennt waren - innige Liebesbriefe. Er war es aber auch, der ihren Zorn, ihre Launen und Kritik einstecken musste.
Schwermütig, aber nicht ohne Hoffnung, waren die Briefe aus den Gefängniszellen. Immer wieder wurde sie wegen ihrer Gesinnung und öffentlichen Äußerungen verhaftet und eingesperrt. "Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden" - vielleicht stammt der bekannte Ausspruch, den man ihr zuordnet, aus den Gefängnistagen.
Die Novemberrevolution 1918/19 und die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) besiegelten ihr Schicksal sowie das Schicksal ihres Weggefährten Karl Liebknecht. 1919 wurden beide von rechtsradikalen Freikorps-Soldaten in Berlin ermordet.
Zu den weiteren Empfängern der Rosa-Luxemburg-Briefe, neben Leo Jogiches, zählten: Mathilde und Robert Seidel, Luise und Karl Kautsky, Kostja Zetkin - der 22-jährige Liebhaber der 36-jährigen Rosa Luxemburg, Paul Levi, Mathilde Jakob, Hans Diefenbach, Sonja und Paul Liebknecht sowie Clara Zetkin. Sabine Wackernagels Tonlage richtete sich beim Vorlesen gekonnt nach den Inhalten und den Empfängern der Briefe. Die ausgezeichnete Schauspielerin beherrschte ihr Handwerk. Mittels ihrer Sprechtechnik wurde den Briefinhalten Leben eingehaucht und auch die blauen Flecke auf der Seele von Rosa Luxemburg wurden sichtbar. "Im tiefsten Schlupfwinkel meiner Seele..." ist auch als Audio-CD im Buchhandel erhältlich.