„Sonderzug“ aus La Reunion in der Lauterbacher Kulturstation
Von Gerhard Otterbein
„Lé là“: lautet die Begrüßung auf Kreolisch am Südbahnhof, als dort der „Sonderzug“ aus La Reunion einlief. Mit an Bord des imaginären Expresses saßen das Trio Kolamaya und Regina Fuchs aus Braunfels. Kolamaya, das sind: Insulaner Nicolas Beaulieu (Gitarre) sowie die aus dem Raum Frankfurt stammenden Nina Hacker (Bass) und Berthold Möller (Schlagzeug). Regina Fuchs lebte und arbeitete auf der zu Frankreich gehörenden Insel im aufgewühlten Indischen Ozean. Sie hatte jede Menge beeindruckende Bilder im Gepäck. Von dem auf La Reunion geborenen Nicolas Beaulieu stammten die Arrangements aus landestypischer Musik, verbunden mit modernem, auf Improvisation basierendem Jazz, mit welchem das Trio sein Publikum begeisterte. Außerdem gefiel die Kunstform: Musik, gepaart mit Bildervortrag. Somit stand das Publikum nicht auf dem Abstellgleis im Südbahnhof, sondern durfte Erster Klasse an einer virtuellen Reise teilnehmen und die ganze Schönheit und die Besonderheiten der Insel östlich von Madagaskar genießen. Besonders wenn Nicolas Beaulieu die leisen Töne erzeugte, während er sanft in die Saiten der elektrischen Gitarre griff, war es, als würde man auf den Schwingen eines riesigen Vogels über Berge, Vulkangestein und ausgedehntes Grün des Eilandes und Wanderparadieses getragen.
Als Berthold Möller am Schlagzeug den Rhythmus vorgab und Nina Hacker die Bassseiten zum Schwingen brachte, waren der Herzschlag und die Lebenszirkulation La Reunions zu spüren. Regina Fuchs Erklärungen sagten viel über die Mentalität der Bewohner aus. Um das noch zu untermauern, sang sie das Lied „Das kleine Haus aus Stroh“. Der Text suggeriert Bescheidenheit und spiegelt die Lebensart der etwa 800 000 Bewohner von La Reunion, Insel der Zusammenkunft, wider. Dort, wo die Uhren anders ticken, die Bourbon-Vanille wächst und entlaufene Sklaven bis heute wie Helden gefeiert werden, dort lebt ein hochinteressantes Völkergemisch. Nicht nur die Menschen scheinen einzigartig zu sein, die Natur treibt es ebenso bunt, wie das weihnachtliche Bild des blühenden Flammenbaums (nicht zu verwechseln mit Tannenbaum) unterstrich.
Einzigartig waren aber auch der Mentalitätsmix und die Musik von Kolamaya, die aus dem traditionellen Genre und typischen Inselklängen Maloya gewachsen ist. Eine Musikrichtung, die von Sklaven in den Zuckerrohrfeldern geprägt wurde und zeitweise ein Schattendasein führten, die von Kolonialverwaltung und den Sklavenhaltern verboten wurde. Sega ist ein weiterer traditioneller Musikstil.
Die deutsche Seele des Trios, Berthold Möller, er unterrichtet unter anderem an der Musikschule der Kreisstadt Lauterbach, und Nina Hacker, schlug im Gleichklang. Hier wurde die Bedeutung von La Reunion, Insel der Zusammenkunft, begreifbar. Ein weiterer Akt dieser gelebten völkerübergreifenden Einstellung symbolisierte das Klavierwerk des großen deutschen Komponisten Franz Schubert „Kinderszenen“, welche Nicolas Beaulieu auf seine Weise arrangiert hatte und mit Kolamaya darbot. Es wächst nicht nur das zusammen, was zusammengehört - sondern es wächst auch zusammen, was zusammenwachsen möchte.
Fotos: Krauss