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Martin Günkel im Lauterbacher Anzeiger am 4.11.2013

 

Lesungen als intensives Solo-Theater
Martin Menner begeisterte mit seinem Tschechow-Programm „Ein Scherz und andere Überraschungen“

Dem Lauterbacher Publikum ist der Schauspieler Martin Menner vor allem durch seine Inszenierungen von Solo-Theaterstücken bekannt. Als er im Rokokosaal des Lauterbacher Hohhauses sein Tschechow-Programm präsentierte, war er – abgesehen von einem kleinen Solo-Einakter am Schluss – mit Lesungen zu erleben. Die hatten die gleiche Intensität und Stimmigkeit wie sein Theater. „Ein Scherz und andere Überraschungen“ lautete der Titel des Programms, das Menner auf Einladung des Kulturvereins Lauterbach mitgebracht hatte. Dieser Titel bezog sich darauf, dass etliche Kurzgeschichten Anton Tschechows bis heute weniger bekannt sind als seine Theaterstücke. Bekanntheit sagt aber nichts über Qualität aus – das machte Menners Programm deutlich.
Wie Martin Menner erklärte, haben Tschechows Zeitgenossen nicht immer verstanden, was der Autor komisch fand. Auch heute sei das nicht immer sofort ersichtlich. Für Menner ist es der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, dem Tschechow eine besondere Komik abgewinnt. 1860 geboren, erlebte er eine Kindheit mit einem trunksüchtigen und gewalttätigen Vater. Später studierte er in Moskau Medizin und verdiente parallel dazu Geld mit Zeitungsartikeln und -kolumnen. In denen verarbeitete er sowohl seine eigene Jugend als auch die Armut anderer Menschen.



Obwohl Tschechow schon zu Lebzeiten große Anerkennung als Schriftsteller genoss und unter anderem den Puschkin-Preis gewann, gab er seinen Beruf als Arzt niemals auf. Zweigleisig zu fahren, bedeutete für ihn die Möglichkeit, für Abwechslung zu sorgen, wenn er sich mit einer seiner beiden Tätigkeiten einmal langweilte. Dass er viele Freundschaften pflegte und in seinen letzten Jahren mit der Schauspielerin Olga Knipper seine ganz große Liebe gefunden hatte, änderte nichts daran, dass er sich einsam fühlte. Zugleich wird er von Zeitgenossen als freundlicher, warmer Mensch beschrieben. „So schrecklich sein Leben für ihn selbst gewesen sein mag, so bereichernd war es für andere“, erklärte Menner.
Allerdings war dieses Leben kurz: Mit 44 Jahren starb Anton Tschechow an Tuberkulose.
Die titelgebende Erzählung, „Ein Scherz“, stand am Beginn des Programms von Martin Menner. Es geht um einen jungen Mann, der eine junge Frau mit zum Schlittenfahren nimmt und ihr bei jeder Abfahrt ein Liebesbekenntnis ins Ohr flüstert. Auf das reagiert aber die junge Dame nicht – außer dass sie immer wieder eine Abfahrt wagen möchte, obwohl sie Angst davor hat. Indem Tschechow das ausgiebig schildert, baut er Erwartungen bezüglich dieses Rätsels auf – und lenkt vollkommen vom Titel seiner Geschichte ab.
„Der Jäger“ behandelt eine unglückliche Beziehung. Die Erzählung ist von vielen Dialogen geprägt, wobei Menner die einzelnen Rollen spielte und zum Leben erweckte. Mit starken Veränderungen in der Sprechweise sowie leichten, aber wirkungsvollen Modifikationen im Stimmklang hob er die Figuren bestens voneinander ab.
Als besonders eindrucksvolles Beispiel für Tschechows Humor bezeichnete Martin Menner die dritte Geschichte des Lesungs-Blocks: „Der Reisende erster Klasse.“ Die Differenz zwischen tatsächlichen Leistungen und öffentlicher Wahrnehmung steht im Mittelpunkt dieser Geschichte. Die Medien stürzen sich darin bei der Einweihung einer Brücke lieber auf eine unbegabte, aber äußerlich attraktive Sängerin, als dem anwesenden Ingenieur Beachtung zu schenken. Während Menner die direkte Rede des Ingenieurs las, zeichnete er eindrucksvoll nach, wie sich der missachtete Mann in seinen Zorn hineinsteigert. Eine weitere schöne Gesellschaftskritik, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat, ist das „Gespräch eines Betrunkenen mit dem nüchternen Teufel“.
„Vortrag über die Schädlichkeit des Tabaks“ heißt die Solotheater-Adaption, mit der Martin Menner seinen Abend abrundete. Er spielte darin die Rolle eines verunsicherten Vortragsredners, der vollkommen unter der Fuchtel seiner Frau steht und sich in eine Rolle hineinzwingt. Statt seinen Vortrag zu halten, kommt der Referent auf seine Unsicherheit vor Publikum zu sprechen und holt von da aus zu einem Rundumschlag über sein missglücktes Privatleben aus. Das Publikum nimmt er als extrem kritisch wahr und unterstellt permanent, es habe in Wirklichkeit gar kein Interesse an seinem Vortrag. Dass er dieses Vorurteil hegt, lässt seine Wahrnehmung der eigenen familiären Situation in einem besonderen Licht erscheinen.
Martin Menner gelang es, Tragik und Komik dieser Figur unter einen Hut zu bringen und gleichermaßen überzeugend darzustellen. Tschechows Humor unterstrich er mit seiner Spielweise – sei es beim Einakter oder beim Lesen der vier Erzählungen. Beides zusammen ergab ein gelungenes und begeisterndes Ganzes.